Genauer hinschauen

Geschrieben von Berthold Glauer-Voß | Veröffentlicht in Schlei.Journal | am

Meine beste Freundin hat mich kalt erwischt: Ihre Nachfrage, ob ich denn ihren Gutschein zu meinem 50. Geburtstag über eine Massage eingelöst habe, musste ich verneinen. Ihr Gutschein zum vorletzten Geburtstag für eine Kosmetikbehandlung ist mittlerweile sogar verfallen. Sie kündigte an, dass Sie mir zu Weihnachten einen Ratgeber über „Selbstfürsorge“ oder „Work-Life-Balance“ schenken wird. Und sie hat ja recht. Obwohl der letzte Urlaub noch nicht lange her ist, bin ich wieder im „Dauererschöpfungsmodus“! Lade ich mir zu viel auf? Kann ich nicht gut für mich sorgen?

Es ist gut, Freunde zu haben, die einen wunden Punkt ansprechen. Doch auch die besten Freunde sind keine Hellseher. Persönlich sollten Sie sich die Frage stellen: Worum geht es denn bei Ihrem Problem genau? Gönnen Sie sich ernsthaft Zeit darüber nachzudenken, was die Gründe für Ihre anhaltende Erschöpfung sein könnten! Zu viel Arbeit? Perfektionismus, der verhindert, öfter mal locker lassen zu können, und der somit überfordert und erschöpft? Besitz und Konsum, der finanziert und organisiert werden muss? Probleme mit Abgrenzung? Möchten Sie ernsthaft gut für sich sorgen? Wenn ja, warum schaffen Sie es mit ihrer Lebenserfahrung (noch) nicht? Gibt es ungünstige Erwartungshaltungen oder Loyalitäten anderen Menschen oder Gruppen gegenüber, die Sie (un-)bewusst erfüllen möchten? Auch die vielen neuen guten Ratgeber in den Buchhandlungen zu den Themen wie „Selbstfürsorge“, „Selbstliebe“ und „Work-Life-Balance“ machen die Leser nicht grundsätzlich glücklich und zufrieden. Genauso, wie Arbeit nicht grundsätzlich krank macht. Wenn wir zufrieden mit unserer Arbeit sind, ist sie sogar eine wichtige Ressource in unserem Leben und kann vor psychischen Erkrankungen schützen. Es ist also gar nicht leicht, zu überblicken, was denn wirklich in einem klaren Zusammenhang mit dem Thema der eigenen Erschöpfung steht. Selten ist es nur eine Sache, die dazu beiträgt, dass „Gut zu sich sein“ an Grenzen stößt. Aber als freie Menschen in einem freien Land können wir, wenn wir es ernsthaft wollen, das Tempo drosseln und unsere Verpflichtungen überprüfen.